Anmerkungen zum Umgang mit den
Folgen des Orkantiefs Lothar
GERMAN J. KRIEGLSTEINER
Beethovenstrasse 1, 73568 Durlangen
Januar 2000. Veröffentlicht in
"Beiträge zur Kenntnis der Pilze Mitteleuropas" Band
XIII. Einhorn Verlag, Schwäbisch Gmünd
(Meteorologische Anmerkungen von Georg Müller)
1. Historisches
Soweit man den wenigen Berichten aus dem 19. Jahrhundert Glauben
schenken kann, waren sie, am Tief Lothar gemessen, ziemlich
gering: Im gesamten Gebiet des Deutschen Reiches fielen
lediglich 35 Mio. Fm Sturmholz an. Zu Beginn des 20.
Jahrhunderts gab es erstmals regional grössere Schäden, z.B.
1902 zwei Mio. Fm allein im Schwarzwald und in den Vogesen, und
bis 1912 im gesamten Reichsgebiet 10 Mio. Fm. Danach waren
schwere und grossflächige Sturmkatastrophen lange Zeit selten.
Erst gegen Ende der 60er-Jahre nahmen sie wieder zu. Besonders
erwähnenswert sind:
- Februar/März 1967:13,5 Mio. Fm
,,Schadholz" in der BRD, davon allein 7,7 Mio. Fm in
Baden-Württemberg.
- 13. November 1972:17,3 Mio. Fm in der BRD,
7,3 Mio. Fm in der DDR
- November 1984: 9,2 Mio. Fm in der BRD,
mit Schwerpunkten in Rheinland-Pfalz, Hessen und im nördlichen
Baden-Württemberg.
Für 1953 bis 1987 wurden allein in den
Staats- und Körperschaftswäldern Baden-Württembergs 19 Mio.
Fm geworfen, das sind 0,7 Fm pro Jahr und ha. Dies alles
erscheint geringfügig angesichts der Sturmschäden in der Zeit
von Ende Januar bis Anfang März 1990: Allein die beiden fast
ohne Unterbrechung aufeinander folgenden Orkane ,,Vivian~ (25.
bis 27. Februar) und ,,Wiebke" (28. Februar bis 1. März)
liessen in Deutschland 72,5 Mio. Fm Sturmholz anfallen, wobei 87
Prozent Süddeutschland betrafen (Bayern 23 Mio. Fm,
Baden-Württemberg 15 Mio., Hessen 14 Mio., Rheinland-Pfalz 12
Mio. Fm).
Die Häufigkeit und Heftigkeit der Orkane des
Spätwinters 1990 wurden damals von Fachleuten als ,,singuläres
Jahrhundertereignis", die Orkanstärken von über 160 km/h
für Süddeutschland (ausgenommen Gebirgslagen) als ,,historisch
einmalig" angesehen. Sie sollten sich irren: Das Orkantief
Lothar vom 26. Dezember 1999 traf den Schwarzwald und andere
Gebiete Südwestdeutschlands nunmehr mit Windgeschwindigkeiten
bis 210, lokal sogar bis zu 230 km/h; das entspricht den
höchsten jemals zuvor am Jungfraujoch in der Schweiz gemessenen
Windstärken.
2. Ursachen der Orkane
An Stürme solchen Ausmasses sind die Wälder Mitteleuropas
nicht angepasst. Im Zentrum ihrer Bahnen hält ihnen wohl kein
älterer Wald stand, auch nicht relativ naturnahe und von den
Forstverwaltungen als stabil deklarierte Bestände. Über die
Ursachen der sich ab den 60er Jahren häufenden und von Mal zu
Mal an Wucht zunehmenden Orkane sind im Zusammenhang mit den
Phänomenen ,,Waldsterben" in den 80er Jahren und ,,Klimaaufheizung"
in den 90er Jahren nicht wenige (teils gegensätzliche) Thesen
postuliert und (zum Teil leidenschaftlich) diskutiert worden. Da
sich Verf zwischen 1982 und 1993 mehrfach in Resolutionen,
Vorträgen und Publikationen mit der Problematik
auseinandergesetzt hat, muss hier nicht erneut auf sie
eingegangen werden.
3. Der Weg des Orkans Lothar
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'Lothar' am 26.12.1999 13 MEZ über Deutschland |
Zugbahn von 'Lothar'. Die grössten Windgeschwindigkeiten wurden südlich des Zentrums gemessen |
'Lothar' entwickelte sich recht überraschend aus einer unscheinbaren
flachen Tiefdruckwelle, die am Mittag des 25.12.1999 noch östlich
von Neufundland auf dem Atlantik lag. Mit der ungewöhnlich starken
Westströmung (über 400 km/h in 9km Höhe) wanderte das Tief rasch
ostwärts. Westlich der Bretagne begann es sich extrem rasch zu
intensivieren und erreichte Druckfalltendenzen, die in den bekannten
Wetteraufzeichnungen für das europäische Festland noch nie gemessen
wurden. Am Morgen des 26.12. erreichte das Zentrum des Orkans den Raum
Paris. Auf seiner Südseite wurden am Flughafen Orly Windspitzen bis
173 km/h gemessen, die in den Pariser Wäldern verheerende Schäden
anrichteten. Anschliessend zog das Tief mit nahezu unverminderter
Intensität fast auf dem 50. Breitengrad entlang Richtung Ostfrankreich
und Süddeutschland. Auch hier
traten im Laufe des Vormittags zuvor noch nie gemessene Windgeschwindigkeiten
auf (Feldberg 212 km/h - Das Windmessgerät wurde durch die Böen zerstört;
Karlsruhe 151 km/h, Colmar 165 km/h). Besonders am Oberrhein und
im Schwarzwald waren die resultierenden Schäden enorm.
Auf seinem weiteren Weg nach Osten schwächte sich der Sturm langsam ab,
erreichte aber selbst in Tschechien noch Orkanstärke.
Ein am nächsten Tag nachfolgendes, fast gleich starkes Tief ('Martin') zog auf etwas
südlicherer Bahn und richtete vor allem in Südwestfrankreich ebenfalls extreme
Schäden an Wald und Infrastruktur an.
Am frühen Nachmittag des 26. Dezembers 1999 erreichten die
Sturmböen 'Lothars' auch den Welzheimer Wald. Sie bogen die Spitzen über 3
Meter hoher Bäumchen beliebig zu Boden, deckten einzelne, teils
auch ganze Reihen von Dachziegel ab und verdunkelten den Himmel.
Die elektrischen Lampen flackerten mehrmals, bis das Licht
schliesslich in mehreren Gemeinden für über zwei Stunden
erlosch.
Bereits die ersten Schadensbilder, die das Fernsehen am
Abend (vornehmlich aus dem Raum Stuttgart und dem
Südschwarzwald) ausstrahlte, bewogen Verf., sich in den
folgenden Tagen im Oberrheintal und im Nordschwarzwald selbst
ein Bild zu verschaffen.
4. Schäden im nördlichen Oberrheingebiet
Verf. suchte zwischen dem 29. und 31.12.1999 mehrere Wälder im
Gebiet zwischen Rastatt und Offenburg auf. Stellvertretend sei
hier die Situation in MTB 7214/2 (w. Sinzheim, ,,Grosses Bruch"',
122 m NN) und 721413 (ö. Rheinmünster, ,,Niederwald", 124 m
NN) skizziert. Es handelt sich um potentielle Erlen-Bruch- (Alnion
glutinosae) sowie um grossenteils in Pappel- und Mischforsten
umgewandelte Erlen- und Feldulmen-Auenwälder (Alnion
glutinosae, Ulmenion minoris), in denen Verf. seit 1993 mehrfach
charakteristische und anderswo in Baden-Württemberg seltene
Grosspilze festgestellt hatte, zuletzt während der
Hochwasserkatastrophe im Spätherbst 1998. Damals war fast das
ganze umliegende Gebiet samt einigen Ortsverbindungsstrassen
überschwemmt, nicht aber die beiden genannten Waldgewanne: Ihre
Böden hatten sich zwar mit Wasser vollgesaugt und schwammartig
aufgewölbt, waren aber dennoch grossenteils begehbar geblieben.
Einheimische hatten Verf. vor dem Risiko gewarnt, die
labilen restlichen Baumbestände dieser Gewanne so kurz nach dem
Sturm zu betreten; und sie hatten Recht: Es bot sich ein Bild
des Grauens, und an ein Durchkommen war kaum zu denken. In fast
zwei Stunden bewältigte Verf., über, zwischen und unter
gefallenen Bäumen durchkletternd sowie teils randvolle
Wassergräben umgehend bzw. überspringend, allenfalls einen
Kilometer durch den stark aufgeweichten Matsch. So wie sie einst maschinell
in Reih und Glied gepflanzt wurden, lagen nun vor allem die nur
schwach beasteten Hybrid-Pappeln am Boden, entweder mitsamt
ihren im Vergleich zu ihrer Länge auffallend kleinen
Wurzeltellern, oder an der Stammbasis abgedreht, zerschlitzt,
abgerissen und abgebrochen. Borke und Splintholz der geworfenen
Bäume wiesen äusserlich keine besondere Veränderung auf,
aber
das Kernholz war bei den meisten, jedenfalls soweit Verf. von
der Bruchstelle stammaufwärts armlang durchzustossen vermochte,
mürbe und grau wie ein aufgelassenes Hornissennest.
Ausser den
Bastardpappeln waren unter den entwurzelten bzw. gefallenen
Bäumen in erster Linie Roteichen, Bergahome (vgl. Abschnitt 8)
und Fichten, auch einige ältere Weiden und drei Birken, dagegen
keine einzige Erle, auch keine Esche, Stieleiche, Traubenkirsche
oder Ulme. Unter diesen Bäumen lagen lediglich einzelne
grössere sowie mehrere kleinere, wohl zuvor grossenteils
bereits tote bis morsche Äste und Zweige.
Im offenen Kulturland
waren dem Sturm vorwiegend ältere Apfel-, Birn- und
Walnussbäume zum Opfer gefallen. Mehr noch als für das
Tiefland gilt dies für die gesamte Vorhügelzone am Westrand
des Schwarzwaldes: Die mit Wasser vollgesaugten Lössböden
rutschten hier über ihrer Grundgebirgs-Unterlage klein- bis
grossschollig ab und rissen nicht nur einzeln stehende
Obstbäume, sondern ganze Edelkastanien-Haine ein Stück weit
mit sich.
5. Schäden im Nordwestschwarzwald
Wiederum als nur ein
Beispiel sei hier die Situation im Gewann ,,Zimmerplatz" und
seiner unmittelbaren Umgebung südlich von Baden-Baden (7215/3,
ca. 350 m NN) skizziert. Auf dem kleinen Pass zwischen Geroldsau
und Neuweiler, genau an der Abzweigung der K 9610 von der L 84,
befindet sich eine Hütte und ein kleiner Parkplatz, von wo aus
Verf. schon mehrfach Grosspilze kartiert hatte. Es sind
potentiell bodensauere, gut mit Niederschlägen versorgte
Waldhainsimsen-Fichten-Weisstannenwälder, wie sie im
nordwestlichen wie im südwestlichen Schwarzwald häufig
vorkommen, am für diesen Waldtyp recht nieder gelegenen
Standort jedoch in einer etwas verarmten Form mit Eiche und der
wirtschaftlich begünstigten Waldkiefer sowie in Kontakt zu
kleineren Parzellen des (ebenfalls bodensaueren) Luzulo luzuloides-Fagetum (Richtung Malschbach). Häufig sind es
Klimax-Gesellschaften auf moderbedeckten, frischen (bis fast
feuchten: Rippenfarn!), basenarmen, teils podsolierten
Braunerden über Silikatgründen; das Vorkommen der Stechpalme
weist auf den subatlantischen Charakter des Gebietes hin.
Überall
wo die Sturmstaffeln und Wirbel des Orkans unmittelbar
durchgezogen waren, lagen die schönsten Bäume kunterbunt
durcheinander. Die kleine Strasse nach Liehenbach hätte man gar
nicht erst zu sperren brauchen, da es auch zu Fuss kein
Vorankommen gab. Die Waldarbeiter und Räumkommandos werden hier
noch Monate zu tun haben. Es blieben aber teils in nächster
Nähe dem Sturm nicht frontal ausgesetzte Flächen auffallend
intakt; jedenfalls fanden sich hier vergleichsweise wenige
umgestürzte, gebrochene oder gesplitterte Stämme, fast so, als
wären sie lediglich einer späten Durchforstung zum Opfer
gefallen.
Aktuell handelt es sich freilich um einen Mischforst
aus reichlich Fichte, etwas Waldkiefer und Rotbuche, wenig
Lärche, massiv eingebrachter Douglasie und forstlich
entsprechend zurückgedrückter Weisstanne (die dort allerdings
als einziger Baum auch mit reichlich Jungwuchs vertreten ist).
Angesichts der pollenanalytischen Forschungen, die dem
Nordschwarzwald einen Rotbuchenanteil zwischen 31 und 43 Prozent
bescheinigen, der Weisstanne zwischen 30 und 57 Prozent, der
Eiche und ihrer Begleiter 11-21 Prozent, der Fichte aber nur 1-3
Prozent, der Waldkiefer nur wenige Promille, (den erst in
neuerer Zeit forstlich eingebrachten Nadelbäumen Lärche
und Douglasie absolut Null), wären statistische Zählungen
interessant, die Aufschluss geben könnten, ob eher indigene
oder mehr die forstlich eingeführten Baumarten betroffen sind.
Im Gewann ,,Zimmerplatz" waren an den Stellen, wo der Orkan sich
unmittelbar Bahn geschaffen hatte, so gut wie alle Baumarten
gleichermassen geworfen waren. Aber auch nur wenige Meter
abseits wurden nicht unbedeutende Unterschiede erkennbar: In
erster Linie ist dort die Douglasie die Leidtragende,
unmittelbar gefolgt von der Fichte. Dagegen hielten sich
Weisstanne, Buche und Kiefer vergleichsweise zufriedenstellend,
besser noch die (allerdings nur wenigen und daher kaum
vergleichbaren) Lärchen und Eichen.
6. Wurzelschäden.
Auf das
Missverhältnis von Baumlänge und Ausbildung des Wurzeltellers
geworfener Bäume wurde bereits in Abschnitt 4 hingewiesen. Da
das Thema ein massgebender Bestandteil der Diskussion um das
Waldsterben in den 80er Jahren war, sei hier nur eine Anmerkung
angefügt: Wurzeluntersuchungen 1990 an 2000 vom Sturm
geworfenen Bäumen in 165 Beständen Baden-Württembergs auf
nicht vernässenden Standorten ergaben einen Anteil
abgestorbener und fauler Grob- und Schwachwurzeln (2-20 mm) von
15 Prozent bei der Tanne, bis über 30 Prozent bei Kiefer und
bis über 65 Prozent bei Fichte. Laubbäume wiesen geringere
Anteile abgestorbener und fauler Wurzeln auf.
7. Widernatürliche Forstwirtschaft
Nach im Internet verbreiteten Angaben betreffen
die durch den Orkan Lothar bewirkten Schäden zu 60 %
Nadelbäume (Douglasie, Kiefer, Fichte, Tanne) und zu 40 %
Laubbäume (16 % Buche, 13 % Eiche, 11 % Pappel u. a.). Nach
Aussagen von Waldbauern, Forstarbeitem, Wanderern und
Pilzfreunden sowie nach eigenen Stichproben in mehreren
Wuchsgebieten Baden-Württembergs (Oberrheinebene, Teile des
Schwarzwaldes samt Vorhügelzone, Mittlere und Obere
Gäulandschaften, Keuper-Lias-Land, Mittlere und Ostalb) handelt
es zu 70 bis 75 % um Nadel- und zu nur 25 bis 30 % um
Laubbäume.
Bereits 1990 war in Deutschland von allen Baumarten
die Fichte mit Abstand am stärksten betroffen. Der
Sturmholzanteil der ,,Baumgruppe Fichte-Tanne-Douglasie" lag
damals in Süddeutschland bei rund 80 Prozent. Dass die Fichte
besonders anfällig ist, wurde 1990 durch Untersuchungen der
Forstlichen Versuchs- und Forstanstalt Freiburg bestätigt. Für
die Fichte (und die noch rascher wachsende Douglasie) wurde ein
hoher, für Kiefer und Buche ein mittlerer, für die Eiche ein
geringer Gefährdungsgrad errechnet. Aus dem Saarland wurde
damals mitgeteilt, die Fichte sei mit 15-facher Härte vor der
Buche und mit 20-facher vor der Eiche getroffen worden.
Die
bequeme, aber simple Einteilung der Schäden in solche an Nadel-
und an Laubbäumen verschleiert die Realität. Es sind
mindestens drei Spalten nötig. Dabei ist die Weisstanne aus der
,,Baumgruppe Fichte" herauszulösen und in einer
,,Baumgruppe Rotbuche" oder ,,Rotbuche-Edellaubbäume-Eiche"
mitzuführen; Die an Tanne erhobenen Befunde erscheinen in allen
süddeutschen Weisstannengebieten (übrigens auch in den Vogesen
und im Jura) denen an Rotbuche ziemlich ähnlich, während sie
von den an ,,Fichte-Douglasie" ermittelten deutlich
abweichen. Die nicht heimischen Baumarten (Bastard-Pappel,
Roteiche u. a.) sollten in einer weiteren Gruppe zusammengefasst
werden.
Wie bereits festgehalten, setzen sich die potentiellen
Wälder entlang des Oberrheins im wesentlichen aus Erlen-Bruch-,
Erlen-Au- und Stieleichen-Ulmen-Auwäldern (Hartholzaue)
zusammen; dazu kommen noch Reste von Silberweiden-Auenwäldern
(Weichholzaue), bodenfeuchte Hainbuchen-Eichenwälder (teils mit
Winterlinde, Vogelkirsche, Feldahom und wenig Rotbuche), sowie
auf Flugsandablagerungen je nach Klimalage und Gehalt der
Böden167an Kalk und Basen Waldtypen, die entweder zum
Wintergrün-Waldkiefern-Steppenwald oder zum Honiggras-
(Birken-, Buchen-) Stieleichenwald tendieren. Dass in den zu
Holzplantagen degradierten Bruch- und Auwäldem vorzugsweise
Bastardpappel, Roteiche, Bergahorn und Fichte zum Opfer fielen,
nicht aber Erle und Stieleiche, in den zu Nadelholz-Mischforsten
umgewandelten bodensaueren Buchen- und Tannenwäldern
ausgerechnet die derzeit forstlich so beliebte Douglasie und
wiederum die forstlich seit gut 150 Jahren als ,,Brotbaum"
angesehene Fichte, sollte nun endlich zu den spätestens seit
1990 angekündigten waldbaulichen Konsequenzen führen.
8. Forderungen
Weder sind die Ursachen der offensichtlich gegen Ende
des 20. Jahrhuderts stark zugenommenen Sturmschäden in ihrer
Komplexität genügend erforscht, noch verfügen wir derzeit
über Mittel, die Häufigkeit und Heftigkeit der Orkane zu
beeinflussen. Jedoch steht seit langem in den
Kulturnachweisungen der Forstbetriebe und in den Statistiken der
Landesforstverwaltung Baden-Württembergs, die Widerstandskraft
der Wälder gegen Umwelteinflüsse aller Art und somit auch
gegen das Sturmrisiko könne nur über den Weg
standortsbezogener Baumartenwahl gestärkt werden. Im Klartext:
Die heimischen Laubbaumarten, insbesondere Eiche, Rotbuche, aber
auch Erle und Ulme, sind auf Kosten der Fichte und der
Douglasie, nicht aber der Weisstanne zu begünstigen.
Zwar hat
man längst erkannt, dass sich eine standortsgemässe
Waldbewirtschaftung in kleinräumigen, vielfältigen
Wal4strukturen als wesentlich sturmstabiler erweist als
grossflächige Reinbestände standortsfremder Baumarten. Doch
zieht die zu Oberflächlichkeit und Verdrängung neigende
Mentalität des Menschen aus den sich häufenden
Umweltkatastrophen kaum Lehren. Sie entschuldigen ihr Verhalten
mit der uralten, aber falschen Parole, die ,,Fachleute" und
,,Zuständigen" hätten doch wohl ,,alles im Griff".
Vielleicht kann der vorliegende Text in bescheidener Weise dazu
beitragen, dass das vorhandene Wissen wenigstens nicht weiterhin
in den Akten der Forstverwaltungen begraben bleibt und mit dem
Abfallpapier der Statistiker ,,entsorgt" wird, sondern für
alle Waldbesitzer' Waldwanderer, Freizeitforscher und die
gesamte Öffentlichkeit jederzeit abrufbereit bleibt. Im
einzelnen seien hier folgende Forderungen festgehalten:
8.1 Es
sind alle älteren Fichten- und Kiefern-, aber auch Bergahorn-,
Birken-, Pappel- und Roteichenbestände auf
stauwasserbeeinflussten und flachgründigen Standorten, da sie
extrem sturmgefährdet sind, zügig in naturnahe
Laubwald-Parzellen umzuwandeln. Aus demselben Grund sind
einzelne Altbäume zu entfernen. Es ist somit ein totaler
Baumartenwechsel erforderlich, der Naturverjüngung freilich
weitgehend ausschliesst und die Neupflanzung von Laubbäumen auf
den Freiflächen gebietet. Fichten- und
Douglasien-Neupflanzungen sind an solchen Standorten zumindest
in den Staats- und Körperschaftswäldern strikt zu verbieten.
Privatbesitzer sind entsprechend zu beraten; in besonderen
Fällen könnten auch Prämien oder Zuschüsse für das Pflanzen
standortsbezogener heimischer Laubbäume gewährt werden.
8.2 Zur
Stabilisierung stauwasserbeeinflusster Standorte in Tallage sind
in erster Linie Stieleichen-Mischbestände (entsprechend der
Hartholzaue und bodenfeuchter Hainbuchen-Eichenwälder) zu
fördern, auf mässig pseudovergleyten Standorten im Verbund mit
Esche und Erle (Schwarzerlen-Auwald), an besonders nassen
Standorten in erster Linie Schwarzerle (Erlen-Bruchwald).
Spätestens nach den Sturmschäden 1990 und 1999 muss erkannt
werden, dass nicht mehr die in Fm gemessene
,,Jahreswuchsleistung" einer Baumart, sondern ihr Beitrag
zur Gesundung und Stabilisierung der gesamten Kulturlandschaft
zu gewichten ist.
8.3 In Hang- und Berglagen leistet in ihrem
natürlichen Verbreitungsgebiet die Weisstanne unverzichtbare
Dienste. Wie bereits in Abschnitt 5 angedeutet, hat sie sich
seit dem Rückgang der Schwefeloxid-Emissionen ab Mitte der 80er
Jahre ganz passabel erholt, verjüngt sich allgemein gut und
bedarf keiner übermässigen Pflege. Es sollte aber nicht
zugelassen werden, dass sie durch menschliche Unvernunft weitere
Areal-, Dichte- und Vitalitätseinbussen zu erleiden hat. - An
steil geneigten Schatthängen, in luftfeuchten Schluchten und
auf Steinschutthalden hat der Flachwurzler Fichte überhaupt
nichts verloren, wohl aber Bergulme, Esche, Sommerlinde, Spitze-
und vor allem Bergahorn; (der sich bekanntlich am falschen
Standort als ,,Talahorn" ziemlich unstabil erweist; vgl.
Abschnitt 4).
8.4 Besonders auf kleineren nicht
stauwassergefährdeten Sturmwurfflächen ist auf
Naturverjüngung zu setzen. Es wäre falsch, sie durch
vorschnelle bzw. zu dichte (und damit zu teuere) Pflanzungen zu
verhindern. Die ankommenden Pionierbäume und -sträucher
dürfen nicht entfernt werden, sollen sie doch zu Vorwäldern
weiterwachsen, in deren Schatten Tanne und Buche aufkommen und
einen neuen Wald begründen können.
Voraussetzung ist allerdings
eine strikte Reduzierung der Verbissschäden. Da es weder
sinnvoll noch praktikabel erscheint, alle Flächen wirksam zu
umzäunen, ist der neue Wald (insbesondere bei Verzicht auf den
Luchs) ohne nachhaltige Regulierung des Schalen-, insbesondere
des Rehwildbestandes durch eine systematisch ausgeübte Bejagung
nicht zu halten. Die Folgen des Wildverbisses sind bereits jetzt
unübersehbar.
8.5 Schliesslich sollten, dem Vorbild des
Naturparks Bayerischer Wald in begrenztem Umfang folgend,
weitere grössere Sturmwurfflächen unaufbereitet bleiben, um
sie der langfristigen natürlichen Sukzession zu überlassen
bzw. die Wiederansiedlung fast schon erloschener Populationen
bestimmter Flechten, Pilze und Moose, aber auch selten
gewordener Phanerogamen zu ermöglichen. Solche ,,Bannwälder"
oder ,,Naturwaldzellen" dienen der interdisziplinären
wissenschaftlichen Forschung. Bekanntlich findet sich ein
beträchtlicher Teil des deutschen Pilzarteninventars nur oder
fast nur noch in solchen ,,Urwäldern von morgen", und es ist
anzunehmen, dass diese Aussage auch für andere
Organismengruppen gilt. Seitens der zuständigen Ministerien sollte dafür gesorgt werden, dass genügend Gelder für
Forschungen und Bestandserhebungen vorgesehen werden. So
stagniert die Erfassung des Grosspilzbestandes der Baden-württembergischen Bann- und Schonwälder (wie auch der
Naturschutzgebiete) seit vielen Jahren, und noch immer sind von
69 ausgewiesenen Bannwäldern erst 15 bearbeitet, weil u. a. den
ehrenamtlichen Mitarbeitern nicht einmal ihre nachgewiesenen
Unkosten ersetzt werden.
Sturmholzflächen nicht aufzubereiten,
kann übrigens auch unter wirtschaftlichen Aspekten sinnvoll
sein, etwa wenn der Erlös die Aufarbeitungskosten nicht deckt,
so in unerschlossenen Lagen, an Steilhängen, in Jungbeständen
und auf ökologischen Vorrangflächen. Nicht zuletzt dienen
solche Flächen unmittelbar der Diversität unserer Landschaft
sowie der Reichhaltigkeit ihrer Fauna, Flora und Funga.
9. Paradigmenwechsel.
Den Statistiken der Forstämter, vielen
klagenden Waldbesitzern und Waldbauern, aber auch den Reaktionen
der Politiker geht es zumindest vordergründig um verlorene
Festmeter und somit um Geld. Dass es ein Förster war, Wilhelm MÜNKER,
1947 Mitbegründer der ,,Schutzgemeinschaft Deutscher Wald",
der bereits 1958 in 3. Auflage ein Buch des Titels ,,Dem
Mischwald gehört die Zukunft" herausgab und zugleich eine nach
ihm benannte Stiftung ins Leben rief, und der 1961 einen
,,Ausschuss zur Rettung des Laubwaldes" gründete, der reine
Fichtenbestände als ,,naturwidrige Kunstgebilde" und
,,Fichtenöde" anprangerte (und sich übrigens auch gegen den
Einsatz von Chemikalien gegen Insekten wandte) - all das
scheint noch immer nicht allgemein publik geworden zu sein.
1998, aus Anlass des 40jährigen Bestehens der Stiftung, druckte
sie als Heft 40 einen Aufsatz des bereits 1970 Verstorbenen
nach. Es sei höchste Zeit, so heisst es dort, dem schnellen und
hohen Holzertrag abzuschwören, sich dafür um den Waldboden zu
kümmern und die Wohlfahrtswirkungen des Waldes voranzustellen.
Den Waldböden aber geht es schlecht. Viele haben
ihre Wuchskraft auf Jahrzehnte hinaus verloren. Durch die
bereits über ein Jahrhundert währende Absauerung der
Oberböden allein schon durch die Nadel- und Zweigstreu der
Fichte, Kiefer, Douglasie und Lärche wurde das gesamte Edaphon
massiv gestört, kleinflächig sogar zerstört. Besonders auf
saurem Untergrund bildeten sich im Verlauf der Jahre dicke und
dichte Nadelpakete und Rohhumusschichten, die den Stoffaustausch
(Wasser, Luft) und damit die gesamte Bodenbildung
beeinträchtigen. Ihre Bestandteile (u. a. Lignin, Gerbstoffe,
Harze, Phenole) erwiesen sich als hochgradig abbauresistent. Das
für den Abbau massgebende Verhältnis der Kohlenstoff- zu den
Stickstoff-Verbindungen (C-N-Verhältnis) ist bei Kiefer,
Douglasie und Lärche äusserst schlecht, wenig
zufriedenstellend bei Fichte, Stieleiche (und Bergahorn!),
günstiger bei Linde und Rotbuche, sehr günstig bei Tanne,
Erle, Esche, Hainbuche und Ulme. Soweit es irgend möglich ist,
sollte daher bei den Aufräumarbeiten nicht nur das verwertbare
Stammholz, sondern auch der ,,Abfall" (€ste, benadelte
Zweige) der Douglasie, Fichte, Lärche und Kiefer mit entfernt
werden, anstatt damit, wie im Schwarzwald erneut beobachtet, die
ohnehin degradierten Waldböden noch dichter zu versiegeln. Um
den langwierigen Prozess der Boden-Neubildung sichtbar zu
beschleunigen, müsste man sogar die gesamte Nadelstreuauflage
entfernen, so wie das früher alle 3-4 Jahre geschah, um
Einstreu für das Vieh zu erhalten. Dass die Myzelien nicht
weniger Klein- und Grosspilzarten dem Wald einen unverzichtbaren
Dienst leisten, indem sie als Destruenten und Reduzenten nicht
genutzes Holz, liegende Äste, Zweigreste, Zapfen und
Nadelstreu abbauen und so in den natürlichen Stoffkreislauf
zurückführen, hat sich offenbar auch auf Forstämtern und bei
Biologielehrern noch nicht allgemein herumgesprochen.Über Sinn
und Unsinn der Waldbodenkalkung und des
,,Forststrassenbaus", die Folgen von Kahlschlägen im Laub-
und Mischwald, die irreversible Bodenverdichtung durch
mechanisierte Holzernte, die Bedeutung der naturnahen Gestaltung
der Waldränder, den Wald als Klimaregler und andere Themen hat
sich Verf. in mehreren Vortragsreihen, Vorlesungen und
Veröffentlichungen artikuliert und mehrere Aufrufe (so 1982
eine bundesweite Resolution gegen das Waldsterben, die weit
über 300000 Unterschriften einbrachte) verfasst.
Leider
verpuffen solche Appelle immer wieder an der Trägheit der
Menschen. Mit Lippenbekenntnissen und Weihnachtsstimmung ist es
nicht getan. Selbst die in den 80er Jahren auf allen
publizistischen Ebenen angeheizte Debatte über das Phänomen
Waldsterben flaute rasch wieder ab, sobald man die ersten
,,Entwarnungen" veröffentlichte. Die seither jährlich
herausgegebenen Waldschadensberichte basieren zum nicht
unerheblichen Teil auf methodisch oberflächlich ermittelten
Befunden und zeichnen somit ein Zerrbild der wirklichen
Situation. Man spürt die Absicht, die Menschen zu
beschwichtigen, aus welchem Grund auch immer. Die Frage, wie
unsere Kulturlandschaft aussehen und wie sie sich
weiterentwickeln soll, geht nun aber nicht nur Förster,
Waldbesitzer und Landschaftsplaner, sondern in hohem Mass die
Wanderer und Waldläufer, die Urlauber und Erholungssuchenden,
die Biologen, Ökologen, Freizeitforscher und Naturschützer,
ganz besonders aber die junge Generation an. Keiner kann sich
der Problematik und der Verantwortung entziehen.1993 erinnerte
Verf. an die gesetzliche Verpflichtung zu ,,nachhaltiger"
Forstwirtschaft. Als Leitziel dürfe nicht weiterhin die
quantifiziert vorausberechnete Holzproduktion, sondern die
Wohlfahrtswirkung für Natur und Mensch gelten. Daher forderte
er ,,die bedingungslose Rückkehr vom Forst zum Wald" und
stellte einen ,,Zehn-Punkte-Katalog als Übergangsprogramm bis
2000" auf ökonomische Zwangsvorstellungen
(Jahres-Holzproduktions-Normen) dürften nicht weiterhin
grundlegende ökologische Einsichten überlagern, verschleiern
und verdrängen. Notwendig sei ,,eine grundlegende Umstellung
der gesamten Philosophie der mitteleuropäischen
Waldwirtschaft".
Die Stürme Vivian und Wiebke, spätestens
aber der Orkan Lothar haben das alte Leitziel der
mitteleuropäischen Forstwirtschaft endgültig ad absurdum
geführt. Gleichzeitig haben sie aber dem Wald eine neue Chance
eröffnet. Es kommt jetzt darauf an, ob wir ernsthaft bereit
sind, den geforderten Paradigmenwechsel zu verinnerlichen.