Pilzballade

von: Vera Gottschlich

Im allerdunkelsten Fichtenwalde,
auf moosüberwucherter, feuchter Halde,
im winkelig-heimlichen Waldverstecke,
wächst vornehm und kühl, steif bis in die Knochen,
der Stolz ihrer Sippe ganz ungebrochen,
Familie Steinpilz, von und zu.
Mit keinem Andern auf Du und Du;
voll Hochmut gegen das arme Gelichter,
der Pfifferling-, Täubling- und Rehpilzgesichter,
fuchtbar gelangweilt, doch rassig und edel.
Vom ältesten Ahn mit dem moosgrünen Schädel
bis zu den Jüngsten, den weißblonden Kleinen,
stehn sie auf adligen festen Beinen.
Alle verachtungsvoll eingestellt
gegenüber der andern, gewöhnlichen Welt.
Ob Erdteile änderten ihr Angesicht -
Familie Steinpilz ändert sich nicht.

Doch sieh! Eines Tages, welch freches Beginnen:
Da siedelt wahrhaftig, nur drei Schuh von hinnen,
ein Fliegenpilzvölkchen am Waldesrande,
ein unverschämmt dreistes - es ist eine Schande!
Recht spöttisch-behaglich die weißen Leiber,
brandrote Schirme entfalten die Weiber.
Dieweilen mit helleren Kappen und Mützen
Pilzburschen und -mädel zusammen sitzen.
Leichtsinnig schwatzen, singen und spielen,
bedeutungsvoll wohl auch nach hinten schielen,
wo Steinpilzens, auf und von und zu,
bedenklich gestört in der vornehmen Ruh,
und höchst indigniert von dem Johlen und Lachen,
abweisende, strenge Gesichter machen.
Ach Gott! Es kam ja auch alles so plötzlich!
Nun diese Nac barschaft! Wie entsetzlich!!

Ein Steinpilzjüngferlein nur, ein zartes,
ein noch ganz helles, schlankes, apartes,
hat Feuer gefangen in einer Sekunde.
Der Bursche dort mit dem lachenden Munde,
wie steht er da drüben, blutjung und schlank,
verwegen und lustig, aufrecht und rank!
Und sie - ob der Ahn und die Alten flehen -
sie muß doch verstohlen noch einmal spähen.
Und nun - wahrhaftig! - er lacht, er winkt!
Wie feuerrot seine Kappe blinkt!
Sie kennt sich nicht wieder, sie ist wie verwandelt,
und wenn sie die ganze Sippe verschandelt,
sie schleicht ganz heimlich - nächtlicherweise,
hochklopfenden Herzens aus ihrem Kreise.

Am Morgen, da kann man die beiden nicht sehn.
Bewahre! Nur hören. Manchmal auch verstehn:
Ihr Kichern, ihr Schäkern, ihr flüsternd Geraune,
das heiße Getuschel verliebter Laune.
Sie stecken tief hinter der Reisighürde.
Familie Steinpilz trägt es mit Würde.
Zeigt keine Enttäuschung, und schmerzt es auch tief.
Die Fliegenpilze lachen sich schief.

Da kommt durch den Wald - ist's ein Spuk?
Ist's ein Traum?
Ein seltsames Wesen, so lang wie ein Baum.
Zwei Stämme nützt es zu rüstigem Schreiten,
es späht voller Raubgier nach allen Seiten.
"Hilf Himmel! Ein Mensch" schreit der Ahn
voller Entsetzen.
Die Fliegenpilze zerstößt er zu Fetzen.
Ein einziger Hieb seiner Stiefelspitzen,
da rollen die Hüte, die Schirme, die Mützen,
Der Stiefel trampelt den Rest zu Kot,
das Fliegenpilzvölkchen ist mausetot.

Nun stürzt sich der Räuber, ein Messer gezückt,
zur Stelle, wo Steinpilz an Steinpilz sich drückt,
und nimmt ohne Mitleid die Großen, die Kleinen,
den würdigen Ahnherrn - er läßt auch nicht einen -
beriecht sie, befühlt sie und schneidet - oh Graus!
aus den Därmen des Ahnherrn die Maden heraus.
Von Steinpilzesstolz und vom Fliegenpilzglück
bleiben nichst sonst als Trümmer und Würmer zurück.

Im Reisigwinkel mit Zittern und Zagen,
sahen die Zwei, was sich zugetragen.
Wie durch ein Wunder dem Tode entgangen
lauschen sie dennoch in ängstlichem Bangen,
widmen ein Tränchen, auch zweie, den Toten,
den stolzen Braunen, den frechen Roten,
und fangen vergnüglich und leichtlebig dann
ein lustiges Waldwinkelleben an.
Und was sie gesehen an jenem Tage
erzählen sie weiter als Heldensage.




©Vera Gottschlich


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