Pilze - Champignons - Fungi (3. Auflage) |
Fred Waldvogel, Hans-Peter Neukom, Rudolf Winkler Pilze - Champignons - Fungi 420 S., AT-Verlag, Aarau, 2001 ISBN: 3855027048 DM 118 | |
Beim Empfang dieses wunderschönen Buches hatte ich anfangs das Gefühl,
es handelte sich um eine verloren gegangene Sendung, welche die Post erst nach
langem Suchen wieder aufgetrieben hatte. Aber nein, das Buch ist erst Ende August 2001
erschienen, jedoch haben vermutlich viele Pilzfreunde, genau wie der Rezensent,
sich seit vielen Jahren nach diesem Photokunstwerk gesehnt. Um präzise zu sein,
wir haben seit 1972 warten müssen. In diesem Jahr erschien nämlich beim Silva-Verlag
das bekannte Album PILZE, dessen Bildqualität derjenigen aller damals verfügbaren Pilzbücher
weit überlegen war. Die Illustrationen bestanden aus mehreren Farbfotos,
die den Pilz in verschiedenen Entwicklungsstufen in aller Vielfalt von Form und Farbe zeigten.
Diese neuartige Präsentation war die Arbeit Fred Waldvogels, der mit seiner Technik eine nie
gesehene Perfektion erreichte. Das in zwei Bänden herausgegebene Silva-Album
(Band I: Blätterpilze, Band 2: Blätterlose Pilze) ist noch immer gesucht und sein
Preis beträgt in Antiquariaten oft mehr als 100 Franken. Nachdem Waldvogel zuerst einige Jahre als Maschinenzeichner tätig war, bildete er sich bald als Graphiker und hervorragenden Photographen aus. Geichzeitig entdeckte er die faszinierende Welt der Pilze und wurde mit der Zeit ein Experte bezüglich deren Biologie und Ökologie. Zweifellos war er auch ein ganz bescheidener Mensch, sonst könnte man nicht erklären, warum erst jetzt, nach seinem Tode, seine hervorragenden Pilzfotos der mykologischen Welt zur Verfügung stehen. Das vorliegende Buch ist der erste Band einer dreibändigen Ausgabe, die mit etwa 600 Aufnahmen aus Waldvogels Erbe illustriert sein wird. Der erste Band (der zweite und dritte folgen 2002 und 2003) behandelt 200 geläufige und einige seltene Arten aus 50 Gattungen. Der Begleittext wurde von Hans-Peter Neukom und Rudolf Winkler, zwei in schweizerischen und deutschen Pilzkreisen bekannten Persönlichkeiten, verfasst. Winkler ist Autor des praktischen Pilzführers 2000 Pilze einfach bestimmen. Die wissenschaftliche Qualität der Ausgabe wurde durch Prof. Dr. E. Horak der Zürcher ETHZ überprüft. Die Arbeitsmethoden sind auf S. 9 zusammengefasst und die mykologischen Fachausdrücke in einem kurzen Glossar erläutert. Jedes Bild wird von einer makroskopischen Beschreibung und einer Angabe der Sporenformen begleitet. Außerdem findet der Leser Auskunft über die Ökologie, Essbarkeit bzw. Giftigkeit des Pilzes. Wie gesagt, ist das Buch in drei Sprachen verfasst. Die deutschen und französische Texte sind in Ordnung, aber es ist zu bedauern, dass die englische Fassung nicht einer kritischen Endredaktion unterworfen wurde. Zwar findet man im Begleittext nur wenige Irrtümer, aber das Vorwort und die Biographie Waldvogels enthalten einige Fehler, die der Aufmerksamkeit eines englischen Korrektors wohl nicht entgangen wären. Die Fotos sind einfach perfekt. Für gewisse Pilze beobachtet man sogar eine Verbesserung im Vergleich zu den Illustrationen in der Silva-Ausgabe! Die Beschreibung der Pilzarten ist fast immer zufriedenstellend. Die Angaben über Giftigkeit sind meistens richtig, obwohl man die halluzinogenen Begleiterscheinungen einer Vergiftung mit Mycena rosea (S. 406) nicht durch die Anwesenheit von Muscarin erklären kann. Das Muscarin-Syndrom wird zwar durch Schweissausbrüche, Speichelfluss und Bauchkoliken gekennzeichnet, aber Rauschzustände gehören nicht dazu. Was die Essbarkeit einiger Pilze betrifft, hätten die Autoren etwas kritischer sein können. Zum Beispiel wird der Genuss des Schusterpilzes (Boletus erythropus) empfohlen, obwohl die Erfahrung gezeigt hat, dass man die Dickröhrlinge mit rot gefärbten Poren besser vermeiden sollte. Xerocomus parasiticus, der Schmarotzer-Röhrling, wird ebenfalls als ein Speisepilz aufgeführt, was, wenn man die geringe Häufigkeit und die Kleinheit der Fruchtkörper berücksichtigt, ziemlich unverständlich ist! In der Beschreibung des Fuchsigen Rötelritterlings (Lepista oder Clitocybe flaccida) wird nur im französischen Text die Gefahr einer Verwechslung mit C. amoenolens, einer Art deren Giftigkeit erst kürzlich entdeckt wurde, erwähnt. Auf S. 232 präsentiert man den Lilastieligen Rötelritterling (Lepista saeva), eine der urbanen Pilzflora zugehörigen Art, als einen nicht häufig vorkommenden und zu schonenden Pilz, obwohl ziemlich große Mengen dieses Pilzes jeden November auf den Märkten der franzosischsprachigen Schweiz verkauft werden. Über dem Märzellerling (Hygrophorus marzuolus) schreiben die Autoren: "wohlschmeckender Speisepilz, der früher in größeren Mengen auf den Pilzmärkten angeboten wurde." Hingegen zahlen auch heute noch die Leute aus Lausanne und Umgebung gerne 6 bis 7 Franken für 100 g "Marjolus", der in den letzten Jahren sogar aus Frankreich importiert wird! Der englische Text, der die einmaligen Fotos des Papageigrünen Saftlings begleitet, behauptet dass der grüne Farbstoff wasserlöslich sei, und dass infolgedessen ältere Fruchtkörper öfters ganz gelb sind. Dies ist wohl kaum richtig. Der erfahrene Waldvogel hat zweifellos beobachtet, dass die grünen Farbtöne unter direktem Licht ziemlich schnell verschwinden. Es ist deshalb nötig sich bei den Aufnahmen etwas zu beeilen. Das Buch ist einmalig durch seine Fotokunst. Die Qualität der ganzseitigen Farbfotos übertrifft jene der mykographischen Bücher aus aller Welt. Der Pilzliebhaber wird das Buch vor allem benützen, um seine in Wald und Flur gemachten, provisorischen Bestimmungen noch einmal zu kontrollieren. Außerdem enthält dieser Band Fotos einiger seltenen Pilze, die man anderswo vergeblich suchen wird. So konnte der Rezensent, schlichtweg beim Durchblättern, zwei Funde aus einem Sumpf mit Erlenbruchwald sofort bestimmen. Ein sonderbarer Krempling erwies sich als Paxillus rubicundulus der, durch seinen schuppig-faserigen Hut und die rotbraune Verfärbung des Stieles, vom kahlen Krempling deutlich unterschieden war. Ein ziemlich seltener Röhrling, büschelig wachsend, mit kurzen gelb- bis olivgefärbten Röhren, bei Druck blau werdend, und mit einem öfters exzentrischen Stiel, wurde sofort als Gyrodon lividus, dem Erlengrübling, erkannt. Unter Berücksichtigung der Qualität dieses Fotobuches ist der Preis eher als billig zu betrachten. |